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Medellin - vom gefährlichsten Platz Südamerikas zum Geheimtipp


Medellín war die zweite Station für uns in Kolumbien und wenn Bogotá uns schon positiv überrascht hat, dann würde Medellín für mich als der “Geheimtipp” unserer bisherigen Reise gelten. Medellín hätte ich im Kopf nur mit dem “Medellín Kartell” verbunden und hatte es als gefährlich und dreckig für mich abgelegt. Dazu jeden Tag Regen in der Vorhersage und wir haben schon überlegt, Medellín auszulassen. DAS wäre ein Fehler gewesen - mich hat diese Stadt so gefangen, dass ich überlege nach dem Aufenthalt an der karibischen Küste nochmal hinzufliegen.

 

Aber mal langsam, Medellín ist die zweitgrößte Stadt Kolumbiens mit 2.6 Millionen Einwohnern und war zusammen mit Bogotá und Cali in den 1990er und frühen 2000er Jahren das Zentrum des Drogenhandels in Südamerika. Medellín hatte in den späten 90er Jahren den unrühmlichen Titel der gefährlichsten Stadt Südamerikas - allen voran das Armenviertel Comuna 13 im Westen der Stadt. Anfang der 2000er konnte man mit massiven Militäreinsätzen die Lage aber unter Kontrolle bringen und Medellín wandelte sich in eine der Vorzeigestädte Südamerikas - 2012 wurde Medellín vom Wall Street Journal zur innovativsten Stadt der Welt ernannt und das Viertel Laureles gilt heute als das sicherste Stadtviertel Südamerikas - wie es dazu kam, erzähle ich beim Abschnitt zur Communa 13.

Medellín gilt als “Stadt des ewigen Frühlings” und ist bei Expats und digitalen Nomaden extrem beliebt. Es hat das ganze Jahr angenehme Temperaturen um die 20 Grad, allerdings regnet es sehr viel. Selbst in der Trockenzeit muss man zumindest jeden zweiten Tag mit Regen rechnen. Wir waren im Februar in Medellín, einem der besten Reisemonate für diese Stadt, und es hat täglich, teils heftig geregnet. Dies führt aber dazu, dass diese Stadt unglaublich grün ist - es fühlt sich an, wie wenn man eine Stadt in den Dschungel gebaut hätte.

Das mit dem Regen ist hier speziell, da es extrem wechselt. An einem Tag hatten wir durchgehend Regen und haben fast nichts unternommen, am nächsten Tag dann am Vormittag strahlender Sonnenschein und am Nachmittag wieder starker Regen. Die Fotos von der Stadttour und der Comuna 13 stammen von einem Tag - man glaubt es nicht.

Am Vormittag haben wir die Comuna 13 besucht und da kommt jetzt die Stadtgeschichte ins Spiel. Es war nicht (nur) Pablo Escobar, der diese Stadt so gefährlich gemacht hat, sondern besonders auch sein Tod, der hier schwerste Nachfolgekämpfe ausgelöst hat. Auf der einen Seite wollten unterschiedlichste Gangs die Vorherrschaft über diese Stadt erringen, aber auch die politische Komponente mit (rechten) Paramilitärs und (linken) Farc-Guerillas machten diese Stadt zum Pulverfass. Medellín war eine zentrale Stadt auf der Handelsroute der Drogen und Waffen von den beiden anderen Zentren im Süden (Bogotá und Cali). Medellín liegt in einem Kessel von Bergen ungeben, der Highway führte im Westen an der Stadt vorbei und das Stadtviertel dort war der 13.Bezirk, die Comuna 13. Daher hat sich der Kampf in diesem Viertel so zugespitzt, denn wer das Viertel kontrollierte, der kontrollierte auch den Zugang zum Highway an die Küste. Zwischen 1990 und 1999 wurden in Medellín unglaubliche 45.000 Menschen getötet.

Unser Guide ist in diesem Viertel aufgewachsen und hat in einer beeindruckenden Offenheit von dieser Zeit erzählt. Und auch hier ist es nicht so einfach in richtig und falsch zu unterscheiden.
Medellín wurde zuerst vom Medellín-Kartell brutal beherrscht und war nach Escobars Tod 1993 mehr oder weniger ein Kriegsgebiet mit rivalisierenden Gangs. Im Jahr 2002 hat das Militär mit Unterstützung der Paramilitärs (so etwas wie private Militärs oder auch Söldner) in der Operación Orión durchgegriffen und in einem mehrtägigen Kampf die Comuna 13 unter Kontrolle gebracht. Auf Fotos schaut das Gebiet danach wie ein Kriegsgebiet aus, es waren Hubschrauber, Panzer und Bodentruppen beteiligt, zahlreiche Menschen “verschwanden” und auch mehrere (unbeteiligte) Zivilisten wurden getötet. Unser Guide sprach seine Zerrissenheit klar an, dass der Einsatz zwar nötig war, aber dass das Wie sehr zu hinterfragen war. Auch war es absoluter Wahnsinn, dass Paramilitärs Seite an Seite mit dem (offiziellen) Militär operierten und dies die Konflikte zwischen Paramilitärs und Guerillas hinterher natürlich verstärkte. Eindrücklich war die Erzählung, dass der Vater unseres Guides von Paramilitärs mit drei Kugeln im Gesicht verletzt wurde und nur durch Glück überlebte - er hatte einen kleinen Laden und die Paramilitärs, die nach der Operación Orión halfen die Gegend zu sichern, wollten Schutzgeld erpressen mit dem Vorwand, dass er ein Guerilla war. Neutral gab es da nicht und entweder war man auf der Seite der Paramilitärs oder gegen sie.
Die Lage besserte sich erst mit Friedensabkommen mit den FARC-Guerillas und der Vertreibung der Paramilitärs.

Spannend ist aber besonders, was danach passierte, denn Medellín wandelte sich in eine Vorzeigestadt. Zahlreiche Initiativen wurden gestartet um die unterschiedlichen sozialen Gruppen zusammen zu bringen. Bibliotheken wurden gebaut, in denen Kinder und Jugendliche auch Videospiele spielen konnten, damit man sie “hineinlocken” konnte. Öffentliche Plätze wurden mit Kunstprojekten aufgewertet, besser beleuchtet, sicherer gemacht. Und nicht zuletzt verrückte Projekte wie die Rolltreppen in der Comuna 13 waren ein voller Erfolg.

In Vierteln wie der Comuna 13 zeigt sich der Wohlstand an der Lage der Wohnung. Unten gibt es Infrastruktur und öffentlichen Verkehr. Je weiter man nach oben kommt, desto schwerer wird das Leben. Die Gassen sind schmal, es gibt viele Stiegen und gerade für alte oder behinderte Menschen wird dies extrem schwierig. Also hat man Open Air Rolltreppen in diesem Armenviertel gebaut, sechs in Summe, die 130 Höhenmeter überwinden. Unten gibt es U-Bahnen ins Zentrum und auf die unterschiedlichen Hügel wurden Seilbahnen gebaut (im Unterschied zu La Paz ist es kein Seilbahnnetz, sondern die Seilbahnen gehen jeweils auf Hügel um den Anschluss an die U-Bahn unten zu gewährleisten). Sprayer begannen die Rolltreppen mit Grafitis und Murals zu schmücken, was sich auf die ganze Gegend auswirkte. Das brachte Touristen in diese früher trostlose Gegend und schuf Arbeitsplätze für die Bewohner.

Ich glaube ich habe noch nie vorher jemanden so positiv über Tourismus sprechen hören wie unseren Guide. Und er wuchs da auf, erzählte von seinen Freunden, die noch immer in Gangs sind. Und dass die Tourbetreiber noch immer erpresst werden, sich aber weigern zu bezahlen. Denn, so meinte er, inzwischen hängen so viele Arbeitsplätze an den Touristen, dass sich keine Gang an Touristen vergreifen würde, weil dies viel zu viel Ärger für die Gang auslöst. Ich kann natürlich nicht beurteilen, wie es “wirklich” ist, aber er klang sehr ehrlich und überzeugend. Es waren beeindruckende Stunden in der Comuna 13.

Da es uns einen Tag komplett verregnet hat, haben wir am Nachmittag eine zweite Stadttour, da durch die Innenstadt Medellíns, gemacht. Und haben uns schlussendlich eine Stunde in einem Museum untergestellt, weil es so geschüttet hat.

Die Innenstadt ist nicht sehr touristisch und hat einige etwas gefährlichere Ecken. Und wie bei jeder Tour gab es Instruktionen, wo man besonders aufpassen muss und den kolumbianischen Slogan: “Don´t give Papaya!” Sprich mach dich nicht zu einem leichten Opfer, pass auf dein Handy auf, trag den Rucksack vor dem Körper usw. - und da war es schon ganz lustig, weil man als “Gringo” (das ist in Kolumbien jeder Ausländer) schon mal mehr angestarrt wird in diesen “Einheimischen-Gegenden” und dir schon auch mal ein “Gringo!” laut hinterher gerufen wird.
In Medellín gibt es zahlreiche Figuren von Botero (dem kolumbianischen Deix) und ich fand zum Schmunzeln, dass man gut erkennen konnte, wo die Menschen hingreifen.

Ernster hingegen wurde es bei einer gesprengten Botero-Figur in der Innenstadt, unter der im Jahr 1995 bei einem Anschlag auf ein Open Air Konzert eine Bombe explodierte. FARC-Terroristen töteten damit 30 Menschen und verletzten mehr als 200. Botero untersagte eine Entfernung der stark beschädigten Figur und so steht sie heute (neben einer neuen, identen Figur) als Mahnmal “Vögel des Friedens” im Parque San Antonio.

Für mich war Medellín bisher die größte Überraschung. Die Stadt ist sehr grün, tropisch, in manchen Teilen sehr touristisch (La Pobleda, eines der Touristenviertel, wirkt wie ein aufgeräumtes Bangkok für mich), in anderen aber sehr ursprünglich. Ich hätte auf meiner Liste nie so etwas wie “Auf Medellín freue ich mich, da hab ich schon so viel gehört!” gehabt, drum ist es für mich so etwas wie ein Geheimtipp. Wenn ihr in Kolumbien seid, lasst es auf keinen Fall aus.

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