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Mal was anderes, ganz persönlich - zwei Monate unterwegs

Wir sind nun seit zwei Monaten unterwegs und da kann man schon mal eine erste kleine Zwischenbilanz wagen.

Zuerst mal das Organisatorische, dann das Emotionale.

Wir reisen beide nur mit je einem Rucksack mit rund 15kg und jeder mit einem kleinen Rucksack mit max. 5kg, wo wir eben bei den Reisen die Wertgegenstände o.ä. haben. Schaut dann so aus - die typischen südamerikanischen “Mistkübel” muss man sich bitte wegdenken.

Und das wirklich Spannende: Wir haben zu viel mit. Zumindest drei oder vier Shirts hätte ich daheim lassen können, die zweite kurze Hose ist Luxus und ein paar Paare Socken sind überflüssig - all das hatte ich bisher noch nicht an. Aber sonst ist es weitgehend ok: Unterwäsche und Socken für eine Woche, zwei, drei Shirts, meine Leinenhemden liebe ich, weil extrem universell tragbar. Eine Jeans, eine kurze Hose, eine Wanderhose. Trekkingschuhe, leichte “Barfuß-Schuhe” und Flipflops. Zwei Pullis, einer dicker, einer dünner. Eine 3-in-1-Jacke, wo man das Innenleben abzippen kann - hab ich mir extra für die Reise gekauft und ist ihr Geld wert, ein geniales Teil.
Ebenfalls extra gekauft: Packwürfel, sind wirklich spitze. Das sind praktisch kleine “Verpackungseinheiten”, wo man seine Kleidung hineinstopft und dann dieses Teil in den Rucksack gibt. Inzwischen habe ich die Technik so perfektioniert, dass ich wirklich schnell ein- und auspacken kann und auch noch etwas Platz im Rucksack habe.
Auch neu gekauft habe ich einen Safepac - das ist eine kleine Tasche, in der ein flexibles Metallgitter verarbeitet ist und auch ein kleines Metallseil, mit dem man diesen Sack irgendwo befestigen kann. Kann man nicht so schnell aufschneiden oder mitnehmen und hat Platz für die Notebooks, Dokumente und Bargeld. Natürlich, wenn jemand es darauf abgesehen hat, dann hilft das nix. Aber wenn wir z.B. in einem Hostel sind, dann gibt das ein besseres Gefühl - schnell ins Zimmer und mitnehmen, das geht nicht. Oder auch wenn wir mit einem Mietwagen unterwegs sind, wo wir das Gepäck schon dabei haben - dann hängen wir dieses Teil im Auto fest, also zumindest Scheibe einschlagen und das Ding mitnehmen, das klappt fix nicht.
Ein paar Karabiner haben wir dabei um etwas befestigen zu können, das ist wirklich nützlich. Zusätzliche kleine Zahlenschlösser, aber bisher nicht gebraucht - schau ma mal.

Also im Großen und Ganzen passt das. Ein paar Dinge haben wir vergessen: Sportleiberl - aber die konnten wir um recht wenig Geld vor Ort nachkaufen. Und unsere Powerbank liegt daheim - wir Deppen. Haben wir bisher aber auch noch nicht vermisst, die Handys halten einen Tag meistens gut durch und selbst in einfachen Bussen gab es bisher USB-Stecker - welcome to 2025.

Weil ich es irgendwo anbringen muss und das ist jetzt eher für die IT-interessierten Mitleser: Auf Reisen nerven diese ganzen Länderbeschränkungen und Sicherheitsmaßnahmen der IT extrem. Mein Passwort beim Mail-Account habe ich schon zweimal ändern müssen, weil GMX fix davon überzeugt ist, dass ich mich ungewöhnlich verhalte - ja, so ist das auf Reisen, dass sich die IP immer wieder ändert. Und sie zwingen dich dann das Passwort zu ändern… grml
Den Vogel abgeschossen hat aber Netflix. Abo war gekündigt, ich wollte es dann aber in Argentinien wieder aktivieren - nicht zuletzt wegen des Preises in Argentinien. Tja, bei Argentinien wissen die Konzerne schon, dass man das verhindern muss, drum wird eine lokale Telefonnummer verlangt - das ist ja noch machbar. Aber sie wollen eine lokale Kreditkarte - no way mit allem, das ich zur Verfügung hatte.
Also das Abo wieder über Österreich mit einem VPN abgeschlossen - aber das war dann wiederum in Argentinien nicht nutzbar. Diskussionen mit dem Support, der einfach nicht verstehen wollte, dass das Abo in Österreich eines der teuersten weltweit ist. “Wenn sie in Argentinien sind, dann müssen sie es in Argentinien abschließen!” Schlussendlich kamen wir nach Chile und ich habe jetzt ein chilenisches Abo, das etwa 25% billiger ist als in Österreich, aber jetzt ist Netflix zufrieden. Jetzt wo ich die Abläufe kenne, freue ich mich drauf, das alles in Bolivien, Guatemala oder El Salvador zu testen. :)
Ach ja, ein VPN (Cyberghost) ist fast unverzichtbar - unfassbar wo ich überall nicht zugreifen kann, nur weil die IP aus Südamerika ist. Und hin und wieder gibt die ZIB 2 schon ein gutes Gefühl von Heimat - ohne VPN nicht machbar.

Das ist auch eine gute Überleitung von diesen organisatorischen Dingen zum Emotionalen:

Anfangs ist man voll der Euphorie, aber auch der Unsicherheit - und beides verändert sich mit der Zeit.

Auf der positiven Seite: Es kommen viele neue Eindrücke und Erlebnisse (die mich in ruhigen Momenten so fesseln, dass ich schon Angst habe, irgendwie süchtig nach diesem Gefühl zu werden), gleichzeitig wird man sicherer in dem, was man macht. Man hat sich “eingelebt”, auch wenn wir viel unterwegs sind. So dramatisch anders als Europa sind Chile und Argentinien auch wieder nicht, es wäre übertrieben zu sagen “wir wissen wie der Hase läuft”, aber ganz blind sind wir nicht mehr unterwegs und wir bewegen uns wohl um einiges sicherer als der “normale” Tourist, der eine dreiwöchige Rundreise macht.

Auf der negativen Seite: Man stumpft den neuen Eindrücken gegenüber ab. Wir sind uns extrem unsicher, ob wir in Bolivien die Uyuni Wüste machen sollen. Eigentlich ein Fixpunkt in Bolivien, aber wir waren nun schon in den Salinas Grandes in Argentinien und in der Atacama in Chile - man denkt sich dann schon “Puh, anstrengend, so anders wird’s da ja auch nicht ausschauen, ist ja alles ein und dieselbe Region!”. Wirklich schwierig, weil wir uns totlaufen, wenn wir jede “Attraktion” anschauen wollen, aber ist es nicht irgendwie arrogant, da so zu urteilen? "Was soll ich in Österreich, ich war ja eh schon in der Schweiz! Na warte, dem Touristen erzähle ich was…

Sicher ist: Wir beide bereuen unsere Entscheidung in keiner Sekunde - es ist dermaßen geil, was wir hier erleben, das ist wirklich alles wert. Aber “alles”, das heißt Job, Erspartes, Familie oder Freunde - wir verzichten auf einiges, Weihnachten mit der Familie, unserer Nichte “beim Wachsen” zuzusehen, ein gemeinsames Abendessen oder das Bier mit Freunden. Und das sind nur die immateriellen Dinge, natürlich geben wir auch einen großen Teil unseres Ersparten aus. Wir hätten da eine lange Liste und irgendwo war das schon auch ein kleiner Aspekt der Reise - nicht nur das was man erlebt und an Eindrücken gewinnt, sondern auch das, was man vermisst, hat einen Wert. Man kann vieles nicht schätzen, wenn man im Überfluss lebt und wir sehnen uns nach jedem Krügerl mit euch, nach jeder Geschichte von euren Kindern, nach jedem faden Problem im Job - wir lernen den Wert des Alltäglichen, des Bekannten zu schätzen. Wir drücken euch alle in unseren Gedanken - soll heißen: Ja, manches fehlt uns.

Und dennoch bin ich jeden Tag sprachlos, was wir alles erleben, was wir sehen, was für uns inzwischen fast normal ist und wo wir sicher in einem Jahr einfach nur denken werden “Scheiße, war das geil!”. Wir haben jetzt schon so viel erlebt, wo ich einfach nur staune und auch stolz auf uns bin, dass wir den Schritt gewagt haben. Oder irgendwie hinein gestolpert sind, denn wenn die Wohnung mal vermietet und einiges gebucht ist, dann ist der Weg zurück recht mühsam.
Soll heißen, dass ich natürlich auch viele Zweifel hatte. Ich kann mich gut erinnern, dass ich am Vorabend der Abreise in meinem Badezimmer gestanden bin und mir nur gedacht habe. Scheiße, was mache ich da bloß? Ich mag Sicherheit - und das ist da plötzlich vorbei. Ungewissheit. Was weiß ich denn schon von Südamerika, das sind doch wilde Länder, Drogen und Kriminalität, was soll ich dort?

Und jetzt simma da schon mehr als zwei Monate unterwegs und alles ist halb so schlimm. “Aber das sind ja noch die harmlosen Länder!” sagt die Stimme in mir, aber langsam pfeif ich drauf. Ich sehe die Stacheldrähte, Gitter und Glasscherben auf den Mauern schon gar nicht mehr - zuletzt hab ich mir sogar gedacht “Eigentlich ganz gschmeidig, dass da alles vergittert ist, da muss ich mir keine Sorgen machen, wenn ich in der Nacht ein Fenster offen lasse!”. Das Handy ist nicht mehr an uns fixiert, seit zwei Monaten verwende ich keine Brieftasche, sondern habe genau das eingesteckt, was ich brauche - und nichts zusätzlich. Natürlich gibt man noch noch immer mehr Acht als in Wien, aber was ich nicht alles gehört habe über Lateinamerika - nicht jeder und alles ist hier kriminell. Gerade jene, die aus Südamerika kommen, haben mich gewarnt, was ich alles bloß nicht machen darf. Leg das Handy da nicht so hin! Hab das immer im Auge, traue niemandem usw. - vielleicht übertreibe ich jetzt ein wenig, aber so kam es mir wirklich vor. Und ich weiß natürlich nicht, ob wir bisher einfach unfassbares Glück hatten oder gerade jene, die diese Länder verlassen haben, das Negative sehr überzeichnen.
Wir bewegen uns mit einer gewissen Vorsicht und das passt bisher gut - nicht eine einzige Situation, wo ich mir gedacht hätte, dass ich besonders aufpassen muss. Das Handy stecke ich sicher nicht so unbedarft wie in Europa in eine Jackentasche, auf das Gepäck pass ma schon besonders auf, wenn wir auf Bahnhöfen o.ä. sind, aber bitte keine Panik. Bargeld und Kreditkarten aufgeteilt in den Hosentaschen, falls man überfallen wird, dass es zumindest eine Chance gibt, dass man nicht alles verliert. Aber auch das wird so normal nach ein paar Wochen, ich kann mir momentan gar nicht mehr vorstellen mit einer Brieftasche unterwegs zu sein - links das Handy, rechts das Bargeld, in der Po-Tasche die Kreditkarten. Ja, mag schon sein, dass das der Straßenräuber auch weiß, aber was soll ich machen - ein gewisses Risiko kann ich ja nicht vermeiden. Aber wir sprechen spanisch, ich zumindest a bisserl und Steffi ganz gut - wir kommen da schon durch.

Schwierig ist es aber wirklich, ständig unterwegs zu sein. Man meint ja vorher, dann bleib halt ein paar Tage an einem Ort, dann passt das schon, aber Alltag fehlt uns enorm. Einfach ein Tag, wo man im Billa oder Spar einkauft, dann etwas kocht und nach zwei oder mehr Glaserl Wein vor der ZIB 2 auf der Couch einschläft - Entschuldigung für dieses Bild von Normalität.
Aber ich dachte, dass die Trennung von den Bezugspersonen das Problem sei, aber das ist es (für uns) nicht wirklich. Aber das Fehlen von Normalität.

Und natürlich sind das Luxusprobleme, wir versuchen schon seit ein paar Wochen einfach Tempo raus zu nehmen, vielleicht mal einen “leeren” Tag irgendwo zu haben. Alltag schaff ma eh nicht, aber dann halt mal ein Tag im Bett - man kann nicht ein Jahr auf Vollgas unterwegs sein. Irgendwie liest es sich viel negativer als es ist, denn bei den tollen Erlebnissen ist man gleich wieder aufgeregt, begeistert, wie auf Drogen - ich will nur hier nicht rein dieses Influencer-mäßige “Alles ist so toll!” zeigen. Ich habe mir vorher viele Gedanken gemacht und möchte hier halt auch ehrlich teilen, was wirklich genial, einmalig, unvergesslich ist - und dass es schon auch Schatten gibt. Wir fallen am Abend meistens erschöpft ins Bett. Kurz und gut, 48 Wochen Urlaub - nein, das ist es einfach nicht. Aber das soll sich wirklich nicht nach Jammern anhören. Danke, dass wir das erleben dürfen. Aber es ist nicht so ein Kinderspiel, wie man es sich vorstellt. Ich hoffe der Mitleser versteht, wie ich es erlebe.

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7 January

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11 January

Noch einmal den Bauch vollschlagen und ab nach Bolivien