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La Paz - eine andere Welt auf 3.650m


Nach La Paz führte der Weg erneut über Santiago - ich denke nun inzwischen zum fünften Mal und auch der Flug war zur selben Unzeit wie die anderen bisher: Abflug 6:29 und leider der einzige Direktflug nach La Paz. Aber wir haben den Zwischenstopp diesmal ja gut genutzt für den Gaumenschmaus im Boragó und sind schon recht eingespielt und wissen wo wir hin müssen.

Bolivien ist eines der ärmeren Länder Südamerikas und v.a. ich wollte unbedingt hin wegen der Höhenlage: Ich hab immer im Kopf, dass Bolivien im Fußball bei Heimspielen recht gut ist - einfach weil sie ihre Spiele auf dieser Höhe austragen und das niemand gewohnt ist und den Gegnern schnell die Luft ausgeht. Mehr dazu am Ende dieses Blogeintrags.
Fragt Steffi, wir sind binnen 24h von einer Hafenstadt (Varparaíso) nach El Alto (dort ist der Flughafen von La Paz) auf 4.062m Höhe geflogen. Ich weiß nicht warum, aber mir macht das weniger aus, am Abend hatte ich ganz leichte Kopfschmerzen, aber Steffi erwischt das immer ziemlich: Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Wir wissen inzwischen, wie wir damit umgehen, aber zumindest einen Tag liegt sie immer flach.

La Paz ist übrigens nicht die Hauptstadt Boliviens - das ist Sucre. Die lange Geschichte in Kurzform: 1548 gegründet, Simon Bolivar (drum der Name) rief 1825 die Unabhängigkeit Boliviens aus, allerdings wurde Sucre zur Hauptstadt erklärt und nicht La Paz. Dennoch blieb La Paz wichtig und nach einem Bürgerkrieg 1899 einigte man sich darauf, dass Sucre die Hauptstadt bleibt, der Regierungssitz (sprich Sitz des Präsidenten und des Parlaments) aber nach La Paz wandert.

Weil ich bei einem Bild vom spanischen Teil der Stadt spreche, Bolivien ist da sehr spannend. Kolonialisiert von den Spaniern, aber aufgrund der Bodenschätze haben die Spanier hier nicht versucht, die Indigenen auszurotten, sondern haben einen Konsensweg realisiert- sie brauchten die Indigenen als Arbeitskräfte. Der christliche Glaube wurde natürlich mitgebracht, der indigene Glaube an die “Pachamama” aber nicht ausgerottet. Die “Pachamama” ist die Erdmutter, die die Menschen ernährt und beschützt. Und da wird es wirklich schräg: Die Basilica de San Francisco hat zwar alle christlichen Elemente wie das Kreuz, aber neben Heiligenfiguren ist an der Fassade auch die Erdmutter. Vor der Kirche sitzen “Schamanen” (die zu Schamanen werden, indem sie einen Blitzschlag überleben oder sechs Finger oder Zehen haben - so erzählt man es und ich habe es nicht weiter hinterfragt), die dir die Tarot-Karten legen und die Zukunft entsprechend des Erdglaubens vorhersagen. Egal wie es ausgeht, danach geht der Bolivianer in die Kirche um Gott zu danken oder ihn um Gnade zu bitten.

Und dieser gesamte Glaube um die Pachamama ist sehr faszinierend. Man bringt Opfergaben, verwendet Pulver und Tinkturen, trägt Amulette. In La Paz ist der “Hexenmarkt” eher touristisch, aber der Glaube dahinter wird wirklich noch gelebt. 60% der Bolivianer gehören zu den indigenen Stämmen. Das Verbrennen der Opfergaben kann man an verschiedenen Stellen in der Stadt sehen. Und zu den skurrilen Opfergaben gehören (echte) Embryos von Lamas oder Schweinen. Man kann ja nicht wissen, wir haben nun ein geweihtes Amulett eines Condors, das Glück auf Reisen bringen soll.

La Paz gilt als der höchstgelegene Regierungssitz weltweit - wobei das mit der Höhe gar nicht so einfach ist, denn die Stadt liegt zwischen 3.200m und 4.100m Höhe. Und das ist in mehrerer Hinsicht faszinierend: Als Tourist einfach mal, wenn man auf über 4.000m ankommt und mit dem Taxi dann gleich mal in wenigen Minuten 500 Höhenmeter nach unten in die Innenstadt fährt. Mir blieb der Mund nur offen, alle Hügel mit Siedlungen bedeckt, das Fortbewegungsmittel der Bevölkerung sind Seilbahnen und verschiedenste Formen von Minibussen - es sind nur ganz wenige Privatautos unterwegs.
Was auf den Bildern ausschaut wie eine Demonstration von Minibussen, ist hier der tägliche Wahnsinn. Die Straßen sind voll mit den Minibussen und es staut sich, wohin man schaut. Auch deswegen, weil sie einfach stehenbleiben, wenn jemand zu- oder aussteigen will.

La Paz hat 750.000 Einwohner, ich habe es schon angeschnitten, inzwischen ist La Paz mit El Alto zusammengewachsen und der Großraum hat rund 2 Millionen. El Alto gilt erst seit 40 Jahren als Stadt (es war vorher nur ein Stadtteil von La Paz), wuchs aber so schnell, dass es heute nach Santa Cruz die zweitgrößte Stadt Boliviens ist.
Aufgrund der Höhe ist das hier ein eher kalter Fleck Erde, es bekommt praktisch nie mehr als 20 Grad (Höchsttemperatur im Jahresmittel 17,8°C), gefriert aber auch praktisch nie. Wir sind hier in der Regenzeit (auch wenn es nur selten etwas nieselt), die Tage sind ganz angenehm mit etwa 15°C, die Nächte aber bitter kalt knapp am Gefrierpunkt - bemerkenswert, weil Heizungen in Wohnungen hier eher nicht mit unserem Standard vergleichbar sind - so es überhaupt welche gibt. Wir wohnen in einer sehr modernen AirBnB-Wohnung in einem Hochhaus in einer sehr guten Gegend (Sopocachi) und haben nur in einem Raum eine kleine Heizung und sonst nur einen kleinen mobilen Heizkörper mit Strom - durch die dünnen Fenster wird es in der Nacht schon recht frisch.
Wie häufig in südamerikanischen Städten ist der Wohlstand an der (Höhe der) Wohngegend abzulesen - je weiter oben, desto ärmer. Zwar eine gute Aussicht, aber alles mühsamer, weil die Zentren weiter unten sind. Ich habe gelesen, dass die Temperatur zwischen ganz oben und ganz unten aufgrund der enormen Höhenunterschiede sich um ganze 6°C unterscheiden kann.
Diese Ausblicke hatten wir von der grünen Linie der Seilbahn, die in die bessere Gegend im Süden der Stadt führt. Man merkt selbst bei der Fahrt, wie es hier wärmer wird (weil eben weiter unten) und auch die Siedlungen könnten sich selbst in Österreich sehen lassen.

Aktuell gibt es viele Demonstrationen in La Paz. Unser Guide sprach in Bezug auf die Demos von Bolivien als “das Frankreich Südamerikas”, weil mehrere Tage pro Woche Demonstrationen stattfinden - die auch oft gewalttätig enden.
Bolivien ist (wie viele Teile der restlichen Welt) in einer Wirtschaftskrise, wobei das hier natürlich andere Ausmaße hat wie bei uns im (sorry: verwöhnten) Europa. Es herrscht kein Vertrauen in die eigene Währung, was für uns mit fremden Devisen ein Vorteil, für die lokale Bevölkerung ein Drama ist. Generell ist das komplett unverständlich in Bolivien: 2/3 der Bevölkerung leben in Armut und 40% sogar in extremer Armut, in La Paz sind Frauen, die mit ihren Kindern auf der Straße sitzen und irgendwelche Kleinigkeiten verkaufen so häufig, dass sie schon gar nicht mehr auffallen. Ein kleines Mädchen, das mit einem kleinen Radio an einer Straßenecke tanzend bettelte, wird mir aber länger im Kopf bleiben - sie war vielleicht 5 Jahre alt und es waren keine Eltern zu sehen. Und das Land hat Bodenschätze, hat die drittgrößten Erdgasreserven Südamerikas - ich will mir da als Tourist, der mit ein paar Einheimischen geredet hat, gar kein Urteil erlauben. Genauso wie bei der Politik, Evo Morales mag ein Sozialist sein, aber was läuft da ab? Und die Mechanismen sind überall dieselben: Bolivien hat den Meereszugang im Salpeter-Krieg Ende des 19.Jhdts an Chile verloren - ein massives Trauma für dieses Land (neben Bolivien hat nur Paraguay in Südamerika keinen Meerzugang - zwei der ärmeren Länder in Südamerika). Und was macht Morales? Er verspricht den Bürgern, den Meereszugang wieder zurückzuholen - obwohl Bolivien vor internationalen Gerichten schon verloren hat. Bliebe nur ein Krieg - den das finanzschwache Bolivien niemals gewinnen könnte, noch dazu wo Chile sehr eng mit den USA ist.

Weg von der Politik, das ist in Südamerika schwer zu verstehen, ins Auge sticht in La Paz definitiv das Seilbahnnetz, das momentan 10 Linien umfasst. Die Elfte wurde aus Finanznöten leider nicht mehr eröffnet, wäre aber schon geplant gewesen. Und für uns Österreicher wichtig: Gebaut von Doppelmayr, eröffnet 2014 und mit einem Wartungsvertrag auf 40 Jahre abgeschlossen - unser Guide bei der Stadtführung war sehr stolz, dass erst 10 Jahre vergangen sind und La Paz damit auch fix 30 weitere Jahre eine Seilbahn haben wird. Und wenn man es erlebt, das ist wirklich einmalig: Dieses Seilbahnnetz wurde gebaut, als die Stadt schon so war, wie sie jetzt ist - sprich man hat in die bestehende Stadtstruktur hineingebaut.
Die Fahrten sind sehr billig: Man bezahlt rein nach Linie, die erste Fahrt kostet 3 BOB (bolivianische Bolivianos), das sind etwa € 0,20, wenn man umsteigt kostet es nur mehr 2 BOB (~€ 0,15). Wir sind einen ganzen Nachmittag nur herumgefahren, weil das so beeindruckend ist.

La Paz erinnert schon immer wieder an brasilianische Favelas (auch wenn es hier keine Armensiedlungen sind) - man hat das Gefühl es wird einfach überall gebaut wo es irgendwie möglich ist. Die Häuser sind fast allesamt nicht verputzt (unser Guide meinte: “Wozu? Die Ziegel sind gut und wenn es nichts bringt, dann macht das kein Bolivianer, das Geld gibt er lieber anders aus!”) und manche Fleckerl schauen gemeingefährlich aus und man wundert sich, dass jemand so am Abgrund leben möchte. Aber der Bolivianer ist erfinderisch, man legt einfach Plastikplanen über den Abhang, dann kann der Regen nicht so ins Erdreich dringen. Ich habe da so meine Zweifel.
Die bunten Häuser waren eine Initiative der Stadtregierung um La Paz freundlicher und weniger Slum-mäßig erscheinen zu lassen. Dann kam COVID - und es zeigt wohl auch, wie stabil bolivianische Pläne sind. Da verwundert es noch mehr, dass man das Seilbahn-Projekt umgesetzt hat.

Die höher gelegene Stadt El Alto war für mich faszinierend - und auch wie unser Guide über die Umstände in Bolivien und El Alto gesprochen hat. Der Handel in Bolivien ist extrem eingeschränkt, so etwas wie Amazon oder Ali Baba gibt es hier nicht. Viel wird geschmuggelt und bevor es nach La Paz kommt, muss es durch El Alto. Daher hat sich dort der weltgrößte Flohmarkt entwickelt, wo man zweimal in der Woche alles bekommen kann, das man irgendwie braucht. Legales, Illegales, Gestohlenes. Und zur Unterhaltung gibt es das bekannte Damen-Wrestling der Cholitas (bekannt für ihre bunten Gewänder).
El Alto zählt zu den gefährlichsten Regionen in Bolivien und alle Locals haben uns abgeraten dort außerhalb des Teleféricos (das sehr überwacht ist - überall ist Sicherheitspersonal) auf der Straße zu sein. Ich war versucht einen Spaziergang zu machen, hab den Guide nochmal gefragt, so bei Tageslicht, in der Nähe des Teleféricos, aber er hat dennoch abgeraten und am Ende hat doch die Vernunft gesiegt. Spannend wäre es gewesen, denn neben der “Handelsstraße”, wo eben die LKWs entladen werden, gibt es dort auch einen “Hexenmarkt” für die Einheimischen. Und da sieht man selbst beim Vorbeifahren, wie die Opfergaben verbrannt werden - einzigartig. Aber aus Vernunftgründen hier nur zwei Videos vom Teleférico aus - auch wenn ich nicht glaube dass da was passiert wäre, aber gegen den Rat der Einheimischen wäre es halt doch ein wenig deppat…

Ein extremer “ich bin einfach sprachlos”-Moment hier war das San Pedro Gefängnis in La Paz - und dieses Gefängnis ist wirklich mitten in La Paz zwischen den Touristen Hot-Spots. Ich wusste nichts davon vorher und gebe das wieder, was mir der Guide, gebürtig in La Paz, darüber erzählt hat. Einfach nur Schlagworte: Gebaut für 400 Insassen, heute mit 4.000 belegt. Bolivien hat kein Geld für mehr Gefängnisse und dieses hier praktisch aufgegeben. Es sind keine Polizisten mehr im Gefängnis, nur rundherum passen rund 20 Polizisten auf. Im Gefängnis wählen die Insassen ihre jeweiligen Bereichs-Vorsteher - je mehr Geld man hat, desto besser kann man wohnen. Wenn man >1.000 USD zahlen kann, hat man Zellen mit Flatscreen und Jacuzzi. Es gibt Restaurants und ähliches. Internet kommt vom WLAN eines nahen Hotels. Da viele Insassen nicht genug Geld für zwei Mieten (drinnen und für die Familie draußen) haben, wohnen ganze Familien in den Zellen und die Kinder gehen tagtäglich ein und aus zur Schule am Platz (Guide zeigt auf das Gebäude, wo die Schule ist). Im Gefängnis werden Drogen produziert (der Guide hat sehr aufgepasst immer nur von “Zucker” und nicht von Kokain zu sprechen), die über die Kinder und die Fenster zur Straße auch verkauft werden. Jahrelang wurden sogar Touristentouren ins Gefängnis (von den Insassen) angeboten, erst als ein Tourist erstochen wurden, wurde dies verboten (sowas muss man erst verbieten?) und er hat hat mir abgeraten, so eine Tour zu machen - es gibt das also offenbar noch immer. Und einfach nur als Tüpfelchen auf dem i, im Gefängnis dürfen nur Getränke von Coca Cola verkauft werden - angeblich gibt es da einen Vertrag. Ich hab das gar nicht glauben können, aber wenn man das googelt, das ist wirklich so, da gibt es genügend Berichte.
Als letzter Schmunzler: Bekannt wurde vieles, als einer der Insassen (ein britischer Koks-Schmuggler, der mit 7kg Koks festgenommen und hier eingesperrt wurde) ein Buch darüber geschrieben hat (“Marching Powder” - gibts auf Amazon) und Touristen Touren angeboten hat, die sogar im Lonely Planet Reiseführer promotet wurden - die Reaktion der bolivianischen Regierung war, dass man das Buch in Bolivien verboten hat. Ich war einfach nur fassungslos.
Ich habe den Guide gefragt, warum das die Menschen draußen so akzeptieren und er meinte nur: “Das Gefängnis ist 100 Jahre alt und es war schon immer so. Die Regierung sagt, sie hat kein Geld und dass es ja eigentlich funktioniert! Es ist falsch, aber es ist so und wird so akzeptiert!” Ich blieb da nur sprachlos…

Supermärkte haben hier sicher eine schlechtere Versorgungslage, mal gibt es das nicht, dann das nicht. Aber generell kommt man durch, v.a. bei lokalem Gemüse ist das Angebot sehr gut, vieles ist sehr, sehr billig und ich würde sagen, dass man bekommt was man braucht, aber die Auswahl ist verglichen zu Europa einfach minimal. Zwei Produkte sind mir aber ins Auge gesprungen: Einerseits Fanta in den Geschmacksrichtungen Guarana und Papaya und dann Schwedenbomben oder hier eher noch “Negerküsse”. Das Bild auf der Verpackung dazu würde wohl in Europa für einen Shitstorm sorgen - aber ich glaube ich habe in den Tagen in Bolivien noch keinen Schwarzen gesehen…

Und zuletzt für meine Fußball-Freunde, denn ich hab das vorher nicht gehört: Bolivien war vor Jahren zu Hause kaum zu schlagen, auswärts aber eher ein Jausengegner - eben aufgrund der Höhenlage. Damals wurde in La Paz gespielt auf 3.637m. Der Heimvorteil nutzte sich aber ein wenig ab: Die Spieler der Gegner in Südamerika spielen großteils in europäischen Ligen, wo man sehr fortschrittlich ist und Höhentrainings mit Masken simuliert und damit wurde der Vorteil von Spielen in La Paz geringer. Was macht also der findige Bolivianer? Er baut ein neues Stadion in El Alto (nomen es omen), der Nachbarstadt von La Paz - man kann oft nicht sagen wo die eine Stadt aufhört und die andere anfängt. Und El Alto liegt auf über 4.000m - das neue Stadion ist auf 4.150m. Skurriler geht es wohl nicht mehr - aber es scheint sich zu lohnen, Bolivien hat die letzten Spiele zu Hause wieder gewonnen.

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